Mych Chagas: Das Interview

Zwei Jahre spielte Mychell Chagas beim FCRJ. In 59 Partien erzielte er 37 Treffer. 2018 wechselte er zu Servette, dann zu den Grasshoppers. Seit drei Wochen ist er in China unter Vertrag.

Von Rolf Lutz

Zwei Jahre spielte «Mych» Chagas beim FCRJ und entzückte das Publikum mit seinen vielen Treffern – die notabene auch mithalfen, dass die Rosenstädter in die Challenge League aufgestiegen sind. Im Januar 2018, nach 59 Meisterschaftspartien für den FCRJ und 37 Treffern im Gepäck wechselte er nach Genf zu Servette.  

Nach dem Aufstieg in die Super League wurde der Höhenflug von Chagas aber drastisch unterbrochen. «Ich spürte, dass der Trainer mir kein grosses Vertrauen mehr schenkte, und mich nicht mehr von Anfang an brachte.» In der Folge wechselte er im Winter zu den Grasshoppers. Aber nun erfüllte sich diesen September ein grosser Traum für ihn: «Ich wollte schon immer im Ausland spielen, entweder in China oder in Arabien. Jetzt bin ich in China, und ich freue mich riesig darüber.» Mychell Chagas spielt in Chinas «League One», das ist die zweithöchste Liga in China.

Wir hatten die Gelegenheit, mit  Mych ausführlich über sein wohl grösstes fussballerisches Abenteuer zu sprechen.

Mych, zuallererst ganz generell, wie geht es Dir in China?
Mir geht es sehr gut, vielen Dank. Ich bin vor noch nicht langem hier angekommen und wir befinden uns mitten in der Meisterschaft. 

Nach Servette und dem Aufstieg in die Super League kam danach der Wechsel zu den Grasshoppers. Und dann, für viele wohl überraschend: Der Wechsel nach China. Wie kam dieses Engagement zustande?
Die chinesischen Investoren, die GC gekauft haben, haben den Kontakt nach China hergestellt und so bekam ich das Angebot. Es bedeutet für mich einen Schritt, den ich in meiner Fussballkarriere unbedingt machen wollte, nämlich im Ausland zu spielen und deshalb bin ich sehr dankbar, dass es so geklappt hat.

Wieso China? Weil es gerade gepasst hat?
Ich wollte schon zu Zeiten, als ich beim FCRJ gespielt habe und wir aufgestiegen sind, ins  Ausland wechseln. Ich habe damals mit unserem Präsidenten, Rocco Delli Colli, gesprochen und sagte ihm, ich würde gerne  entweder in Arabien oder China spielen. Erste Kontakte, damals noch nach Arabien, wurden bereits aufgenommen, aber dann kam Servette dazwischen und es dauerte nochmals zwei Jahre, dafür bin ich jetzt in China gelandet.

Du spielst nun bei Nantong Zhiyun –  das ist ziemlich in der Provinz, etwa 1000 Kilometer von Peking entfernt. Wie lebst Du dort?
Ganz ehrlich: Ich bin erst zwei Tage in Nantong gewesen. Als ich ankam wurde ich sofort zwei Wochen wegen den Corona-Schutzvorkehrungen im Hotel in Quarantäne gesteckt. 14 Tage lang war ich also in einem Hotelzimmer eingesperrt gewesen – raus aus dem Zimmer war nicht erlaubt. Ich habe nur Morgen-, Mittag- und Abendessen erhalten. Alles was passierte in dieser Zeit: Jemand klopft an die Türe und Du findest das Essen vor. Ich hatte übrigens keine Ahnung, was ich zum Essen erhielt, es war alles ganz fremd. Ich habe in zwei Wochen fünf Kilo abgenommen (lacht).

Wie bist Du danach empfangen worden?
Nach den 14 Tagen Quarantäne bin ich super empfangen worden. Ich wurde mit der Limousine abgeholt und dann wurde ich auch dem Club, den Medien und den Fans vorgestellt. Aber jetzt sind wir nicht mehr in Nantong, sondern in einer Stadt in der Nähe von Shanghai, wo die Meisterschaft in unserer Gruppe ausgetragen wird.

Wie muss man das verstehen?
Es ist in der Tat etwas kompliziert – lass es mich es so erklären: Es ist ein riesiger Hotelkomplex, in dem sechs verschiedene Mannschaften domiziliert sind. Jede Mannschaft belegt ein Stockwerk im Hotel. Wir spielen die Meisterschaft wie ein Turnier. Wir alle, inklusive Mitarbeiter, Kamerateam, Reporter, etc, alle sind hier eingesperrt und können den Hotelkomplex nicht verlassen. Man will die Meisterschaft unbedingt zu Ende spielen und will nicht riskieren, dass ein Spieler oder Staffmember sich mit Corona ansteckt, deshalb diese rigorosen Massnahmen. Aber ich muss sagen, alles ist super organisiert, perfekt sogar. So kann ich mich auch 100 % auf Fussball konzentrieren und werde nicht abgelenkt. 

Und dann bist Du in die Meisterschaft eingestiegen…In der dritten Partie hast Du gleich die zwei Treffer zum 2:1 Sieg geschossen. Ein super Einstand.
Nach der Quarantäne habe ich am Dienstag das erste Mal trainiert und am nächsten Tag gleich das erste Spiel absolviert. Da wurde ich nur 45 Minuten eingesetzt, um mich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen. Im dritten Spiel habe ich gleich beide Treffer zum 2:1 Sieg erzielt. Ich spüre, wie man mir sehr viel Verantwortung überträgt, man verlangt von mir sehr viel, auch was der Einfluss auf die Teamkollegen betrifft.

Wie muss man sich den Fussball in der zweithöchsten Chinesischen Liga vorstellen? 
Das ist schwierig zu sagen. Rein «fussballerisch» würde ich es mit der Promotion League in der Schweiz vergleichen. Aber bezüglich Physis, Aggressivität oder  Zweikampfverhalten, da kann der Vergleich mit der Super League durchaus herangezogen werden. Die Grundausbildung von klein auf, so wie wir es in der Schweiz kennen, die haben sie hier nicht. Deshalb sind sie mit dem Ball noch nicht so stark, dafür aber kämpferisch extrem gut.

Welchen Stellenwert hat die «League One», also die zweithöchste Liga, in China?
In der obersten Liga spielen wirklich die Stars mit den ganz grossen Namen, auch weil die Anzahl ausländischer Spieler pro Team limitiert ist. In der League One spielen auch viele Spieler, die sich auf höchstem Niveau durchgesetzt haben, aber vielleicht nicht den ganz grossen Namen haben. Mein Mannschaftskollege Joao Silva, hat zum Beispiel schon in Palermo gespielt. Es hat in anderen Mannschaften Spieler, die auch schon Champions League gespielt haben. Die League One wird immer attraktiver, auch für europäische Spieler.

Und die Infrastruktur?
Es hat sehr viele Zuschauer am Spiel –  es wird professionell «promoted» und  man spielt in einem riesigen Stadion, mit einer super Infrastruktur. Auch alles andere rund herum, die Organisation, Trainingscenter, das ist wie in der Super League. Unser Staff besteht aus 15 Mitarbeitern

Zur Zeit steht ihr auf dem dritten Rang. Hat man dich geholt, um aufzusteigen?
Nantong wurde erst vor wenigen Jahren gegründet. Letztes Jahr hat die Mannschaft um den Abstieg gekämpft. Man hat mich geholt, um sich dieses Jahr in der League One zu stabilisieren und danach einen weiteren Schritt nach vorne zu machen. Wir sehen in unserer Gruppe durchaus die Möglichkeit, bereits dieses Jahr um den Aufstieg zu kämpfen. 

Wie ist der Umgang mit den einheimischen Mitspielern?
Meine Mitspieler sind einfach super. Sie arbeiten hart und geben alles. Daneben ist es auch sehr lustig mit ihnen – sie sind sehr offen, lachen viel und machen gerne Spass, also überhaupt nicht distanziert oder zurückhaltend, wie man sich das vorstellt. 

Wie unterhältst du dich in der Mannschaft?
Wenige können englisch, man spricht dann einfach mit Händen und Füssen. Aber unser Trainer hat lange in Deutschland gespielt, er kann sehr gut Deutsch und mit ihm spreche ich Deutsch. Der Athletiktrainer hat auch 15 Jahre in Deutschland gelebt und kann auch gut Deutsch. Dann sind aber auch die Übersetzter noch da.

Kurz vor Deinem Wechsel vom FCRJ zu Servette sagtest Du einmal, dass Du den FCRJ immer in Deinem Herzen tragen wirst. Auch in China?
100 Prozent! Ich verfolge alles, was der FCRJ macht, wie er spielt und was sonst so läuft. Die Zeit beim FCRJ war so familiär, so freundschaftlich, deshalb hat auch alles gepasst und wir sind aufgestiegen. Wenn es die Situation zulässt, und wenn ich wieder in die Schweiz zurück kehre, dann würde ich gerne eines Tages wieder für den FCRJ auflaufen.